Den größten Teil unseres Wissens haben wir im Kopf – tief vergraben und nur schwer greifbar. Zwei japanischen Wissenschaftler beschreiben, wie wir dieses implizite Wissen heben und nutzen können.

Wir erinnern uns: Mitte der 1990er Jahre galten japanische Unternehmen in vielerlei Hinsicht als führend; Heerscharen deutscher Manager pilgerten nach Fernost, um den Erfolgsgeheimnissen auf die Spur zu kommen. Schlagworte wie Toyota-Prinzip, Kaizen oder Kanban sind Importe aus der damaligen Zeit.

Mitten hinein in diese Zeit fiel der Beitrag zweier japanischer Wirtschaftwissenschaftler, Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi. Mit ihrem 1995 erschienenen Buch „The Knowledge-Creating Company“ lenkten sie das Augenmerk auf ein wenig beachtetes Thema – nämlich den Umgang mit der Ressource „Wissen“.

Das Buch erschien zwei Jahre später auf Deutsch unter dem Titel „Die Organisation des Wissens, Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen“. Gemeint mit der brachliegenden Ressource ist das implizite Wissen, das heißt das in den Köpfen der Menschen verborgene Wissen. Die These der beiden Wissenschaftler: Der Erfolg der japanischen Unternehmen liege darin begründet, dass sie es besser verstünden, dieses implizite Wissen zu nutzen.

In den Ohren westlicher Unternehmenslenker hörte sich das damals ungewohnt an. Die Idee, auf die Kreativität und das Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu setzen, widersprach dem vorherrschenden Weltbild einer funktionalen Organisation, die wie ein Räderwerk funktioniert und bei der jeder die ihm zugewiesene Aufgabe auszuführen hat.

Ein Blick in das Buch von Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi lohnt sich noch heute. Die Ausführungen beziehen sich zwar auf das Wissen in Unternehmen, doch lässt sich auch viel für das persönliche Wissensmanagement lernen. Wir alle ahnen ja, dass in unserem Kopf eine Menge implizites Wissen steckt. Doch wie lässt es sich greifen, in Worte fassen, dokumentieren, weitergeben? Wie können wir diese verborgene Ressource für uns nutzbar machen? Eine Frage, die nicht nur Unternehmenslenker, sondern eigentlich jeden Wissensarbeiter beschäftigt.

Explizites Wissen – implizites Wissen

Was genau mit implizitem Wissen gemeint ist, verdeutlichen die Autoren, indem sie es dem expliziten Wissen gegenüberstellen:

„Wir klassifizieren menschliches Wissen in zwei Kategorien: auf der einen Seite explizites Wissen, das sich formal, d. h. in grammatischen Sätzen, mathematischen Ausdrücken, technischen Daten, Handbüchern und dergleichen artikulieren lässt. Diese Form von Wissen kann problemlos von einem Menschen zum anderen weitergegeben werden; in der westlichen Philosophietradition nimmt sie eine beherrschende Stellung ein. Demgegenüber steht jedoch ein wichtigerer Wissenstyp, implizites Wissen, der sich dem formalen sprachlichen Ausdruck entzieht. Dieses Wissen baut auf die Erfahrung des einzelnen und betrifft schwer fassbare Faktoren wie persönliche Überzeugungen, Perspektiven und Wertsysteme.“

Implizites Wissen ist sehr persönlich und lässt sich nur schwer mitteilen. Subjektive Einsichten, Ahnungen und Intuition fallen in diese Wissenskategorie. Für ein Unternehmen, so argumentieren Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi, sei das implizite Wissen weitaus wertvoller und bedeutender als das in Worten und Zahlen dokumentierte explizite Wissen.

Der Schlüssel zum Erfolg: Implizites Wissen in explizites Wissen überführen

Der Schlüssel zum Erfolg, so folgern Nonaka und Takeuchi, liegt nun darin, implizites Wissen in explizites Wissen umzuwandeln. Die Autoren beziehen sich hierbei auf das Wissen in einer Organisation und haben den betriebswirtschaftlichen Erfolg im Blick. Der Gedanke lässt sich aber auf die Einzelperspektive übertragen: Das eigene implizite Wissen wachzurufen und für andere Menschen zugänglich zu machen, dürfte für jeden von uns ein wichtiger Erfolgsfaktor sein.

Möchten wir implizites Wissen wachrufen, lassen sich aus der Arbeit von Nonaka und Takeuchi vor allem zwei Anregungen mitnehmen:

  • Der Wissensprozess braucht eine Grundrichtung. Beginnen Sie deshalb mit einer „Wissensvision“.
  • Die Transformation von implizitem zu explizitem Wissen gelingt am ehesten im Dialog. Sorgen Sie deshalb für ein „energiegeladenes Interaktionsfeld“.

 

Beginnen Sie mit einer Wissensvision

Zunächst braucht es ein Ziel, eine Wissensvision, wie es die Autoren nennen. Erst ein klares Ziel gibt der Transformation vom impliziten ins explizite Wissen eine Richtung und motiviert dazu, den Prozess voranzutreiben.

Ein zweites kommt hinzu: Eine Vision lenkt den Blick nach vorne – mit dem Effekt, dass vorhandenes Wissen an neue Überlegungen anknüpft. So wird nicht nur implizites Wissen wachgerufen, sondern zugleich neues, zukunftsgerichtetes Wissen geschaffen.

 

Sorgen Sie für ein „energiegeladenes Interaktionsfeld“

Unser implizites Wissen gründet zu einem großen Teil auf Erfahrungen – und meistens haben wir es noch nie in Worten ausgedrückt. Deshalb fällt es schwer, dieses Wissen aus dem Kopf herauszulösen und nachvollziehbar darzustellen. Am ehesten gelingt das im Austausch mit anderen Menschen – „durch fortgesetzten Dialog und kollektive Reflexion“, wie es Nonaka und Takeuchi formulieren.

Die beiden Wissenschaftler regen an, ein „energiegeladenes Interaktionsfeld“ einzurichten, in dem man sich häufig und intensiv austauschen kann. Als Beispiel nennen sie ein selbstorganisierendes Team, in dem Leute aus verschiedenen Funktionsbereichen an einem gemeinsamen Vorhaben arbeiten. Doch auch der Dialog mit einem Sparringspartner kann helfen, verborgenes Wissen wachzurufen und in Worte zu fassen.

Wieder lässt sich ein bemerkenswerter Nebeneffekt beobachten: Der Austausch fördert nicht nur das vorhandene Wissen zutage, sondern erzeugt zugleich neues Wissen. Menschliches Wissen, so die Kernthese der Autoren, „wird durch die soziale Interaktion zwischen implizitem und explizitem Wissen geschaffen und erweitert“:

„Der wesentliche Prozess der Wissensschaffung findet statt, wenn implizites in explizites Wissen umgewandelt wird – das heißt, wenn unsere Ahnungen, Wahrnehmungen, Denkmuster, Vorstellungen und Erfahrungen in etwas Mitteilbares transformiert und in systematischer Sprache ausgedrückt werden. Ein Interaktionsfeld ist ein Raum, in dem diese Umwandlung durch einen Dialog ausgelöst wird und in dem die Beteiligten eine gemeinsame Sprache entwickeln.“

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